Im letzten Post erzählte ich von dem der auf Ausbildung ausgerichteten englischen Schulsystem, und der Einschätzung einer ehemaligen Lehrerin, weder Schüler, Lehrer oder Eltern seien an der Weitergabe an echtem Wissen und Verständnis interessiert. Denn auf dem Weg zur Karriere reicht es den Anschein an Kompetenz zu erwecken, anstatt echte Kompetenz nachweisen zu müssen.
Kann man ihre Eindrücke verallgemeinern? Es gibt Gegenbeispiele, ich kenne auch einige (dazu in einem späteren Post mehr), doch was ist die Ausnahme, was die Regel? Ein genereller Bildungsmangel würde die Wissenslücken vieler Politiker oder Bürger erklären, etwa die Sicht auf Einwanderung oder der Glaube an den britischen Sonderstatus in der Welt. Doch auch im Alltag ist auf der Insel ein auffälliger Mangel an Kompetenz wahrzunehmen und viele Abläufe sind unnötig ineffizient, dysfunktional, gar chaotisch. Hier ein paar Beispiele.
Autofahren ist im Vereinigten Königreich eine Zumutung, und gefährlich. Mir wurde einmal gesagt, auf der Insel fährt man nicht, sondern vermeidet Unfälle (FYI die Aussage stammt von einem Briten). Und ich kann die Einschätzung nur bestätigen, denn zu viele Führerscheininhaber haben eben diesen nicht verdient. Da wird das Blinken vergessen, falsch abgebogen, und das Schneiden anderer Verkehrsteilnehmer scheint Volkssport zu sein.
Anfangs mieteten wir gerne ein Auto, um Freunde in den Ecken Englands zu besuchen. Bei jeder Tour, BEI JEDER, wären wir beinahe in Unfälle verwickelt worden. In mehrere. Für Fahrten in Großbritannien empfehle ich dringend, ständig die Umgebung im Blick zu haben. Der Kleinwagen, den sie gerade auf dem Motorway überholen, kann ohne ersichtlichen Grund auf ihre Spur wechseln wollen.
Zweiter Punkt, die Beschilderung ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Nicht nur sind oft für eine Information mehrere Zeichen aufgestellt, man macht auf der Insel exzessiv Gebrauch von nutzlosen Schildern.
So sind an Fußgängerinseln, Parkbuchten(!) und Kreiseln Hinweise angebracht, welche die zu benutzende Spur anzeigen: fahren sie links, nicht rechts. Offensichtlich müssen selbst Briten permanent an ihren spleenigen Linksverkehr erinnert werden. In der Nähe unseres Wohnblocks trafen etwa drei einspurige Straßen in einem Kreisel aufeinander, und es gab gleich sieben dieser Wegweiser. Dazu waren sie von innen beleuchtet, welch eine Verschwendung!
Apropos Kreisel, Briten lieben Kreisel. Selbst normale Kreuzungen werden durch einen dicken weißen Punkt in ihrer Mitte in derartige umgewandelt. Kreisel können Sinn ergeben, etwa wenn Ampelanlagen eingespart werden können. Das hält meine britischen Freunde jedoch nicht davon ab, selbst einfache Kreiselsysteme mit zusätzlichen Ampelanlagen zu versehen. Gerne direkt an den Ausfahrten. Bei einem roten Signal wird so der Verkehr in alle Richtungen blockiert.
Ampeln sind ohnehin ein eigenes Thema. Warum sind sie oft so wirr angeordnet?! Ein gutes Beispiel ist die Kreuzung A501/A1 in London, bei der man von Islington kommend auf die den Stadtkern umgebende Ringstraße trifft. Zur Signalgebung stehen gleich drei Masten bereit, zwei rechts, einer links. Auf jedem Mast sind vier Signallampen untereinander montiert, sowie eine weitere links davon.
Auf allen Installationen leuchtet die obere Lampe zunächst in einem vollen Rot. Noch bevor sie erlischt, leuchten die unterste und die linke Lampe grün, mit einem Pfeil geradeaus bzw. nach links. Erst mehrere Sekunden später schaltet die Hauptampel ohne Pfeile auf gelb und dann grün. Die Hauptampel ist in der Tat für Rechtsabbieger... Hätten sie das gedacht? Viele Verkehrsteilnehmer sind zu verwirrt, um die Logik innerhalb einer Grünphase zu verstehen und bleiben stehen.
Die merkwürdige Verkehrsführung scheint auch Navigationssysteme zu verwirren. Zumindest scheitern die von uns eingesetzten Apps von Apple und Google regelmäßig an der Routenfindung. Eine Landpartie wird schnell zur Qual. Die Apple-App sagt einem wenigstens, dass sie nicht weiß, welche Straße zum Ziel führt. Das Pendant von Google verschweigt die eigene Unwissenheit und lässt fröhlich im Kreis fahren.
Selbst in einer mittelgroßen Stadt wie Leichester, kommen beide Systeme an ihre Grenzen. Wir wollten nur vom Stadtzentrum zu Freunden in einen Vorort fahren. Apple teilte uns mal wieder mit, die Reise sei unmöglich. Google führte uns zunächst zum anderen Ende der Stadt und dann auf verwinkelten Pfaden zum Ziel. Aus einer 10minütigen Fahrt wurde eine 40minütige Odyssee.
In London funktionieren die Kartendienste besser. Auch die Fähigkeiten der Autofahrer liegen über dem Durschnitt des Landes. Allerdings stellt die Stadt höhere Ansprüche an die Fahrer. Zu viele Autos, Mopeds und andere Fahrzeuge sind unterwegs. Und London ist eine Stadt, deren Straßenplan zum größten Teil noch vor der Erfindung des motorisierten Massenverkehrs angelegt wurde. Viele Straßen sind eng, kurvig oder die Zahl der Spuren wechselt mit jedem neuen Häuserblock.
Während größere Straßen meist verstopft sind, kommt das Befahren kleinerer Straßen einem Slalom gleich. Aus Mangel an Parkplatzflächen, wurden Stellplätze AUF den Straßen geschaffen. Zusätzlich muss man aufpassen, keinen Rad- oder Mopedfahrer umzunieten, die links und rechts an einem vorbeizischen.
Wer kein Auto hat oder nicht selbst fahren will, ist auf Fahrdienste wie Uber angewiesen (teuer) oder den öffentlichen Nahverkehr. Wie beschrieben ist die Luft in der U-Bahn miserabel. Wer auf Busse ausweicht, kommt günstig durch die Stadt und kann die Aussicht genießen. Und Gott sei Dank sind die Londoner Busse weniger von Ausfällen betroffen als die auf dem Land. Aber man muss Zeit mitbringen. Steht keine dezidierte Spur zur Verfügung, stecken sie im Stau. Außerdem tendieren die Fahrer dazu, an Haltestellen vorbeizufahren, trotz Haltesignal oder wartenden Gruppen.
Zweitens wäre der Umgang mit Geld anzuführen, ein einziges Chaos. Aus Deutschland und den Niederlanden war ich es gewohnt, regelmäßige Zahlung etwa für Strom und Wärme per Lastschrifteinzug abzuwickeln. In Großbritannien überwiesen wir alle derartigen Zahlungen selbst, und ich verstand schnell warum. Die Unternehmen scheitern an der Aufgabe, jeden Monat den gleichen Betrag in Rechnung zu stellen. Mal wollen sie zu viel, mal zu wenig, manchmal vergessen sie eine Ausstellung komplett, nur um im nächsten Monat bei der Korrektur ebenfalls Fehler zu machen.
Bei Arbeitgebern sieht es ähnlich aus. In der fast zehnjährigen Karriere im britischen Gesundheitswesen hat es kaum eine der Institutionen, für die sie gearbeitet hat, geschafft ihr jeden Monat den gleichen, d.h. richtigen, Betrag zu überweisen. Auch die Überweisungen in den Pensionstopf waren fehlerhaft. Zumindest ist ihrer Praxis der Fehler irgendwann aufgefallen. Aber stimmten die neuen Angaben? Das war nicht herauszufinden. Die Website des Pensionsfonds war so oft nicht erreichbar, dass ich fast Absicht vermutete. Und mit den Werkzeugen der BMA, der hiesigen Ärztevereinigung, errechneten wir komplett andere Beträge. Zur Klärung wollten wir mit einem Fachmann beim BMA reden, aber die Wartezeit betrug mehr als drei Monate und länger als wir Zeit hatten Einspruch einzulegen.
Und dann gibt es noch das Finanzamt. Dort war man zur Ansicht gelangt, meine Frau würde ihrer Majestät mehrere tausend Pfund an Steuern schulden und schickte uns eine Mahnung. Der Ton des Briefes war unmöglich, nur die Ansage, einen Schlägertrupp vorbeizuschicken, fehlte. In Aufregung versetzte uns aber vor allem das Ultimatum. Sie hatte knapp drei Wochen Zeit den Zahlungen nachzukommen, sonst seien saftige Strafzahlungen fällig. Gezählt wurde vom Datum des Briefkopfes. Das Schreiben erreichte uns aber erst zweieinhalb Wochen später.
Entweder hatte das Amt den Brief verspätet abgeschickt, was mich nicht wundern würde, oder Royal Mail hatte die Zustellung verschleppt, was mindestens ebenso wahrscheinlich war. Der britische Postdienstleister ist ohnehin meine persönliche Nemesis. Selbst Expressbriefe können mehrere Wochen unterwegs sein. Soll ein Paket direkt zugestellt werden, wird es zurückgehalten, soll es zurückgehalten werden, wird es zugestellt. Und unsere Hochzeitsvorbereitung war in ein erhebliches Chaos gestürzt worden, weil Royal Mail jede dritte Einladung verschlampt hatte.
Aber zurück zu der Forderung des Finanzamtes. Meine Frau rief hektisch ihren Steuerberater an. Der ist einer der wenigen Personen im Land, die mein Vertrauen genießen. Einen Tag später meldete er sich zurück: Das Finanzamt hatte einen Fehler gemacht, meine Frau schulde kein Geld, ganz im Gegenteil, das Amt muss ihr mehrere tausend Pfund zahlen. Er habe der Behörde bereits alle Unterlagen geschickt.
Die Geschichte war natürlich noch nicht vorbei. Obwohl alle Dokumente vor dem Ultimatum eingingen, beauftragte das Amt ein Inkasso-Unternehmen, den ursprünglich errechneten Fehlbetrag einzutreiben. Dieses meldete sich wieder mit Ultimatum, noch mehr Drohungen und natürlich kam der Brief mit zweieinhalb Wochen Verspätung an.
Erneut brach bei uns Hektik aus. Der Steuerberater beruhigte, wir sollten die Behörde direkt anrufen, um das Chaos zu klären. Für das Gespräch hingen wir natürlich eine halbe Stunde in der Warteschlange und mussten uns durch alle möglichen Menüs wählen, bevor sich eine menschliche Stimme meldete. Ja, die Unterlagen des Beraters sind eingegangen, offensichtlich hatte man meiner Frau den falschen Taxcode zugewiesen. Der Fehler wurde korrigiert, irgendwann im nächsten Jahr werde man wohl ihr Geld überweisen. Zu dem Inkasso-Unternehmen stehe nichts in den Unterlagen, aber man werde es überprüfen.
Das Inkasso-Unternehmen meldete sich wieder, das Amt wurde wieder angerufen. Und dann… ging alles von vorne los. Denn bei der Korrektur des Taxcode hatte das Amt erneut einen falschen eingetragen… Die Geschichte zog sich mehrere Monate…
Oh, wie mich die Geschichte noch immer aufregt. Ich hätte noch mehr Beispiele zu erzählen, aber die müssen wohl warten, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe.
Anmerkung: Wer über neue Beiträge per e-Mail informiert werden möchte, kann sich dazu oben rechts auf der Seite anmelden.
Comentarios