Mieten und Immobilienkosten schießen auf der Insel also durch die Decke. Da wäre es schön, wenn man wenigstens einen ansprechenden Gegenwert bekommt. Aber das ist nicht der Fall, weder was die eigenen vier Wände angeht, noch die erweiterte Infrastruktur.
OK, wir haben in einem Sozialbau aus den 1960ern gewohnt, der sollte nicht repräsentativ sein, oder? Stimmt, doch anders als sie denken. Unsere Wohnung war anderen Behausungen, die ich besuchen durfte, oft überlegen; unser Viertel ohnehin. In einem meiner Kapitel nehme ich die Infrastruktur genauer unter die Lupe.
…Dabei sind Immobilien auf der Insel generell nicht groß. Bewusst wurde mir dieser Umstand bei der Suche nach neuen Rezepten. Ein britischer Food-Blog präsentierte eine revolutionäre Idee für den Fall, dass man vor aufwendigen Gerichten zurückschrecken sollte: Warum nicht einfach ein Vielfaches der Menge kochen, die gerade benötigt wird? Den Rest könnte man einfrieren!
Die Autorin berichtete, dies sei eine weitverbreitete Methode in den USA, würde hierzulande (Großbritannien) jedoch kaum praktiziert, da in vielen Häusern kein Platz für einen Gefrierschrank sei. Offensichtlich gibt es so wenige Gefrierschränke, dass die Strategie des Vorkochens überhaupt nicht bekannt wird. Denn die Autorin hatte zwar einen, war jedoch vor ihrem USA-Besuch nie auf die Idee gekommen ihn auf diese Art zu gebrauchen. (Ich frage mich, wozu sie ihren Gefrierschrank zuvor benutzte…?!)
Je länger ich in Großbritannien lebte und die Wohnverhältnisse von Freunden und Bekannten kennenlernte, desto mehr schätzte ich die Vorzüge unserer Wohnung. Wir hatten nicht nur einen Gefrierschrank in der Küche und ein Schlafzimmer im dem ich mich des Nachts voll ausstrecken konnte, sondern auch noch zwei kleine Abstellräume. Dort war Platz für Waschmaschine und Co., sowie Gerümpel.
Die Abstellräume waren ebenfalls ein Luxus, der in modernen britischen Behausungen nicht mehr vorgesehen ist. So stießen wir bei unserer Immobiliensuche unter anderem auf ein Neubauprojekt außerhalb Londons. Die Häuser(!) verfügten weder über Keller, Dachboden, oder Abstellraum. Wo soll denn da der Staubsauger aufbewahrt werden? Von Kartons oder Koffern ganz zu schweigen.
Auch unser Bad machte für britische Verhältnisse einiges her. Der Wasserdruck auf den Leitungen war weder zu schwach noch zu stark und ließ sich in vernünftigen Schritten regeln. Die Armaturen waren halbwegs „normal“, d.h. am Waschbecken gab es einen separaten Regler für warmes und einen für kaltes Wasser, in der Badewanne jeweils einen für Wasserdruck und Temperatur.
Mit Grauen denke ich an einen Hotelaufenthalt vor ein paar Jahren zurück. Dort existierte in der Dusche nur ein Regler für Druck und Temperatur. Der Wasserstrom war entweder schwach und kalt oder stark und siedend heiß. Wobei der „starke“ Wasserstrom einem Rinnsal entsprach. Der Druck wurde ein wenig höher, wenn man den Duschkopf auf den Wannenboden legte. Nach meinem Umzug stellte ich fest, bei vielen Leuten sah es zu Hause ähnlich aus.
Des Weiteren funktionierte der kleine Entlüfter in unserem Bad (fast) immer tadellos. Meiner Erfahrung nach entspricht dies in vielen britischen Badezimmern ebenfalls nicht dem Standard. Und Fenster gibt es meist nicht, denn Badezimmer sind zur optimalen Ausnutzung der Wohnfläche im Gebäudeinneren untergebracht. Der Zuschnitt der Wohnungen verhindert außerdem nahezu jede Möglichkeit des indirekten Lüftens. Fällt der Ventilator im Bad aus, ist die Wohnungsluft nach einer Dusche über Stunden besonders feucht. Ein Paradies für Schimmel.
Erschwerend kommt hinzu, dass den Briten das Konzept des Lüftens, vor allem des Querlüftens, nahezu unbekannt ist. Ein Umstand, der mir erst während der Covid-19 Pandemie bewusst wurde, als der Guardian einen Artikel über diese merkwürdige deutsche Eigenart und ihre essentielle Rolle im Kampf gegen das Virus veröffentlichte [26].
Ich teilte den Artikel mit meiner Frau. Nach der Lektüre war sie geradezu erleichtert. Endlich verstand sie, warum ich mehrfach am Tag alle Fenster unserer Wohnung für ein paar Minuten aufriss. Ihr Ehemann war gar kein Spinner, sondern einfach nur deutsch. (Seitdem hat sie einen neuen Spitznamen für mich: Lüftwaffe…)
Schließlich verfügte unser Bad über einen Linoleum-Boden. Ich hätte mich ärgern können, dass der Boden nicht gekachelt war. Stattdessen freute ich mich über das Fehlen eines Teppichs. Teppichboden im Bad? Ja, mir sind einige davon begegnet. Keiner war sauber, die meisten stanken und trieften vor Schmutz.
Briten lieben Teppichboden nicht nur in ihren Wohnungen, sondern auch in Treppenhäusern. Es gibt natürlich strapazierfähigen Teppich für stark beanspruchte Umgebungen, aber ich rede hier von der fluffigen, weichen Version, die man in Deutschland nur im Wohn- oder Schlafzimmer verlegen würde. Zumeist wird außerdem ein heller Stoff gewählt, damit noch die kleinste Menge Straßendreck einen bleibenden Eindruck hinterlassen kann. Der Boden in unserem Treppenhaus war glücklicherweise aus Stein.
Natürlich war unserer Wohnung ihre britische Natur nicht gänzlich abhandengekommen. Trotz des funktionierenden Lüfters im Bad war es schwer, die Luftfeuchtigkeit aus den Räumen zu bekommen. Die Fenster waren weniger isoliert als mir lieb gewesen wäre. Nicht nur hörten wir Straßengeräusche fast ungefiltert, in Kombination mit der Luftfeuchtigkeit waren die Fenster in den Wintermonaten durchgängig mit Wassertropfen bedeckt. Teils waren auch die Tapeten betroffen. Im Winter ging ich daher regelmäßig auf Schimmeljagd.
Eine meiner Sorgen vor dem Einzug blieb dagegen unbegründet. Oft hatte ich gehört, die Wasserleitungen würden auf der Insel im Winter zufrieren. Doch die Gefahr bestand nicht. Laut einhelligen Aussagen von Bekannten und Verwandten hat es in London seit mindestens zehn Jahren nicht mehr geschneit, dem Klimawandel “sei Dank“.
Die Erwärmung des Planeten hatte für uns auch negative Seiten. Die Bausubstanz unseres Wohnhauses war darauf ausgelegt, möglichst viel Wärme zu speichern und langsam abzugeben. Schon ein Tag mit 25° Celsius reichte aus und wir mussten mehrere Nächte in tropischer Hitze verbringen.
Noch schlimmer wurde es, wenn die Temperatur mehrere Tage an der 30° Celsius Marke kratzte. Dann flogen bei uns außerdem die Sicherungen raus, auch wenn gar keine Geräte an den Steckdosen hingen. Irgendwie wurde das Stromnetz unseres Viertels instabil. Ein besonderes Problem für die Supermärkte der Nachbarschaft. Deren Kühlschränke versagten reihenweise.
Im Winter stellt sich dagegen eine Regenzeit ein. Fast jeden Tag kommt Wasser vom Himmel. Da können schon mal die Gleise der Bahnen unterspült werden oder die Wasserleitungen in der Kanalisation platzen. Die folgenden Bauarbeiten stören den Verkehr, wenn nicht gleich ganze Straßenzüge überflutet werden. Ein Rohrbruch meiner Londoner Zeit ging übrigens viral. Im Internet findet man einen Haufen Videos des entstandenen Flusssystems. Unsere Straße blieb zwar von einer Flut verschont, aber alleine in meinem ersten Jahr waren unsere Leitungen mehrmals abgestellt und die Busstation vor unserem Haus wurde wegen der Bauarbeiten nicht angefahren.
Ich war von der Infrastruktur meiner neuen Heimat nicht gerade beeindruckt. Im Gegenteil, mir drängte sich der Eindruck auf, dass London von seiner Substanz zehrt und zu verfallen droht. Nur in einem Bereich war ich im Vergleich zu Deutschland verwöhnt: Meine Internetverbindungen Zuhause und unterwegs waren flott und störungsfrei.
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