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  • AutorenbildAndreas Eich

Die britische Kolonialisierung Indiens

Aktualisiert: 6. Aug. 2023

Die Kolonialisierung Indiens ist ein gutes Beispiel für die Mechanismen, die den Ausbau des Empire vorangetrieben haben. Bereits im Jahr 1600 wurde von Londoner Kaufleuten die Ostindien-Kompanie gegründet. Ausgestattet mit einem Freibrief von Queen Elisabeth I., durfte die Gesellschaft zunächst für 15 Jahre sämtlichen britischen Handel mit Indien abwickeln, ein Handelsmonopol, welches letztendlich mit ein paar Jahren Unterbrechung bis zur Entmachtung der Organisation 1858 bestand.



Der Subkontinent wurde zu einem Großteil durch das Mogul-Reich beherrscht. Doch im 18. Jahrhundert war dieses im Niedergang begriffen und lokale Herrscher gewannen an Macht. Als Folge gingen die Steuereinnahmen der Zentralmacht zurück. Die Kompanie half aus, zum Beispiel indem sie für die Moguln den Außenhandel abwickelte.

Die Beziehungen zwischen Mogul-Herrschern und Kompanie waren aber nicht immer die Besten. Die britischen Händler hatten natürlich die Optimierung ihres eigenen Profits im Blick. Es gab Interessenskonflikte, ab und an führte man Krieg gegeneinander. In der Folge fielen ganze Regionen an die Handelsgesellschaft, die sie mehr oder weniger direkt beherrschte. Die Kompanie trug so zur Erosion des Reiches bei, bis die Moguln nicht mehr Herr im eigenen Hause waren.

Auch mit den lokalen Herrschern setzte sich die Kompanie auseinander, und die gerieten über kurz oder lang ebenfalls in die Abhängigkeit der Handelsgesellschaft. Die treibende Kraft war nicht unbedingt die Kompanie selbst, sondern Einzelpersonen. Offiziell wurde das Unternehmen aus London gesteuert. Durch die große Distanz zu Indien und die damit einhergehenden langen Kommunikationswege ging jedoch vor Ort nichts ohne Eigeninitiative. Und die handelnden Personen vor Ort legten ihre Kompetenzen großzügig aus. Vor allem, um ihren eigenen Aufstieg und Profit zu mehren.

Vielleicht vergab ein Kompanie-Mitarbeiter im Namen des Unternehmens oder privat einen Kredit an einen lokalen Herrscher. Etwa, weil dieser Krieg gegen einen Nachbarn führte. Zurückgezahlt werden konnte der Kredit mit der Beute aus dem Raubzug, oder über Abgabe von Handelsrechten, Kontrolle von Ressourcen oder Wirtschaftszweigen.

Eventuell erfüllten sich die Pläne des Kreditnehmers nicht wie erwartet, er geriet in die Defensive und drohte den Krieg zu verlieren. Um das Investment zu schützen, griff die Kompanie-Armee ein und gewann den Konflikt. Der lokale Herrscher stand nun noch tiefer in der Schuld der Briten, musste noch höhere Abgaben leisten bzw. mehr Macht abgeben.

Anfang des 19. Jahrhunderts stand ein großer Teil des Subkontinents unter Kontrolle der Kompanie. Die Herrschaft erfolgte zumeist indirekt, die lokalen Herrscher stellten in ihren Hoheitsgebieten weiterhin die Regierung, doch gegen den Willen der Händler geschah nichts.

Die Kompanie war zu politischer Macht gekommen, aber mit der Aufgabe überfordert. Gleichzeitig wurde daheim die Frage gestellt, ob eine Handelsgesellschaft überhaupt mit einer derartigen Machtfülle ausgestattet sein sollte. Die Gesellschaft wurde verstaatlicht, an ihre Spitze rückte ein Generalgouverneur.

Zu einem Rückzug aus den politischen Strukturen Indiens kam es ganz im Sinne der Imperialisten aber nicht. Wie rechtfertigte das Vereinigte Königreich, immerhin ein Staat mit liberalen, demokratischen Elementen, die Herrschaft über ein fremdes Volk? Hier kam den Befürwortern die christliche Erweckungswelle im eigenen Land zur Hilfe.

Viele Briten hatten begonnen, ihren Glauben aktiver zu leben. Im Streben nach christlichen Taten richteten auch sie ihren Blick auf die überseeischen Gebiete. Nach dem Verlust der amerikanischen Kolonien, sahen sie dort vor allem nicht-christliche Kulturen, voller Menschen, die bekehrt werden mussten. Die Kompanie hatte eine Christianisierung auf ihren Gebieten eher unterbunden, da jeder potentielle Konflikt ihre geschäftlichen Interessen gefährdeten konnte. Der britische Staat fußte seine Herrschaft dagegen auf dem Missionierungsstreben seiner Bürger.

Und die ideologische Grundlage wurde ausgebaut. Das Vereinigte Königreich sei eine wohlmeinende Kraft, die Indien in die Moderne führen wollte. Die Bevölkerung sollte nicht nur christianisiert, sondern europäisiert werden. Indien sollte in seiner Entwicklung zu Großbritannien aufschließen, um später als freier, moderner Staat in die Unabhängigkeit entlassen zu werden.

Mit der neuen Agenda begannen sich die Briten verstärkt in innere Angelegenheiten einzumischen. So wurde Englisch zur Amtssprache der Verwaltung deklariert. Und Richter fällten Urteile nach britischem Recht, anstatt entlang traditioneller Rechtsauffassungen.

Jetzt häuften sich die Konflikte. In der Oberschicht wurden die alteingesessenen Muslime durch Hindus verdrängt. Viele Kleinbauern verarmten unter der neuen Rechtsprechung, denn bei Auseinandersetzungen zwischen Schuldnern und Gläubigern, wurden mit dem Übergang zu britischem Recht die Gläubiger gestärkt.

Auch mit den einheimischen Rekruten der Armee gab es Probleme. Ihre Gewehrpatronen waren etwa tierischen Fetten wie Schweinefett ausgesetzt. Die Patronen mussten beim Ladevorgang teilweise in den Mund genommen werden. Muslime essen kein Schwein, Hindus überhaupt kein Fleisch. Tierfett hatte in ihren Mündern nichts verloren. Der verordnete Verzicht auf den Tilaka[1] während des Dienstes war ebenso problematisch. Zwar passte die britische Obrigkeit Regeln und Ausrüstung mit der Zeit an, besonders viel Vertrauen in ihre Herren hatten die Soldaten jedoch nicht, immer wieder kam es zu Meutereien

Im Mai 1857 lösten Disziplinierungsmaßnahmen eine eben solche aus, die sich schnell zu einem allgemeinen Aufstand in Nord- und Zentralindien entwickelte. Manche Fürsten stellten sich auf die Seite der Briten, andere unterstützten die Rebellen. Immer wieder kam es zu Massakern an Wehrlosen. In Kanpur soll ein Anführer des lokalen Aufstandes 73 gefangene britische Frauen und 124 Kinder durch die örtlichen Metzger hingerichtet haben (Seine Truppen hatten sich geweigert.)

Ab Juli waren die Briten in der Lage zurückzuschlagen und errangen trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners Sieg um Sieg. Den Rebellen fehlte es an Organisation, die Briten verfügten über bessere Ausrüstung.

Aufgrund der Massaker hielten viele britische Offiziere ihre Truppen nicht von Gräueltaten ab. Es wurde geraubt, gebrandschatzt, gefoltert und vergewaltigt. Gefangene wurden zu Handlungen gezwungen, die gegen die Gebote ihrer Religion verstießen. Muslime mussten Schweinefleisch essen, Hindus wurden nach ihrer Hinrichtung nicht verbrannt, sondern beerdigt. Die Gräber mussten sie vorher selbst ausheben.

Im September 1857 konnte Delhi zurückerobert werden. Eine Niederschlagung des Aufstandes war absehbar. Wegen der Größe des Landes, zog sich dessen Ende jedoch bis in die erste Jahreshälfte 1859.

Im Mutterland waren viele von der Brutalität der Aufständischen schockiert und befürworteten die Gräuel ihrer Truppen. Andere waren von der Unbarmherzigkeit des eignen Militärs angewidert. Mit einer wohlwollenden Macht, die Wohlstand und Zivilisation förderte oder gar christliche Werte vertrat, hatte das Vorgehen nichts zu tun. Einig waren sich beide Fraktionen in der Erkenntnis, dass sich etwas ändern musste.

Im August 1858 verabschiedete das britische Parlament einen Government of India Act, der den Status Indiens neu regelte. Die Ost-Indien-Kompanie wurde entmachtet, das Reich der Moguln verschwand endgültig. Ein Großteil des Subkontinents wurde in eine britische Kronkolonie verwandelt.

Die neue Herrschaftsgrundlage hatte die „unzivilisierte“ Brutalität der Aufständischen geliefert. Man argumentierte die Inder würden nie den gleichen Entwicklungsstand wie Europäer erreichen. Der Subkontinent bedürfe dauerhafter britischer Führung.

In den nächsten Jahrzehnten entwickelten sich Indien gänzlich anders als britische Kolonien mit einer Mehrheit an weißen Siedlern. Letzteren wurden basierend auf liberalen Grundsätzen wie Freiheit und Gleichberechtigung schrittweise mehr Selbstverwaltung zugestanden. Es entstanden Dominions, eine Art Staat im Staat, deren interne Angelegenheiten lokale Einrichtungen regelten. Nur Belange der Außen- und Sicherheitspolitik blieben in den Händen des Mutterlandes und die britische Monarchie stellte das Staatsoberhaupt.

Allerdings wurden die Einschränkungen von den Dominions gerne ignoriert. So schloss Kanada recht bald eigene Handelsverträge mit den USA ab. Und kanadische Siedler nahmen königliches Land in Besitz. Die Dominions entwickelten sich ohne großen britischen Widerstand zu quasi freien Staaten. Indien und andere nicht-weiße Kolonien konnten davon nur träumen.


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[1] Tilaka oder Tika sind hinduistische Segenszeichen, die oft auf der Stirn getragen werden.

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