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  • AutorenbildAndreas Eich

City of London - Die dunkle Macht Großbritanniens

Wie in meinem letzten Beitrag berichtet verfügen viele der politischen Institutionen Großbritanniens über eine stolze, Jahrhunderte alte Tradition. Das ist so beeindruckend wie tragisch, da die alten Strukturen einem modernen Staatswesen im Weg stehen. Bevor ich mich genauer mit dem aktuellen politischen System beschäftige, möchte ich mir eine dieser Jahrhunderte alten Institutionen genauer ansehen. Eine die seit dem dunkelsten Mittelalter besteht und bis heute einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die britische Politik ausübt. Eine Institution von der jeder schon gehört hat, aber kaum einer weiß wie mächtig sie ist. Eine Institution die viele Touristen schon betreten haben, ohne dies überhaupt mitbekommen Ich rede von der City of London.


"The Ninth of November, 1888" Gemälde von William Logsdail zur Amtseinführung von Sir James Whitehead als Lord Mayor of London (1890), Das Gemälde gehört der City of London Corporation und ist in der Guildhall Art Galery ausgestellt.


Meine Erzählung beginnt im Jahr 1066 mit der normannischen Invasion Englands, angeführt von Herzog Wilhelm II.. Bei London wollte das Heer die Themse überqueren. Doch deren Einwohner schlugen es zurück. Kein Problem, die Armee überwand den Fluss an einer anderen Stelle. Kurz darauf ergaben sich die heimischen Heerführer, der Krieg war beendet und Wilhelm wurde als König von England ausgerufen. London verzichtete auf weiteren Widerstand und erkannte den neuen Herrscher an.

Im Gegenzug gewährte er Privilegien. Ein Jahr später wurden der Stadt und ihren Bürgern die gleichen Rechte wie vor der Eroberung zugestanden. Weitere Freiheiten gingen mit dem Doomsday Book von 1086 einher. Das Buch listete unter anderem Besitzverhältnisse und Anzahl der männlichen Einwohner des Landes auf. Ohne das Buch wäre es nahezu unmöglich gewesen Steuern einzutreiben oder Soldaten für Kriegszüge zu requirieren. Kein unwichtiges Werk, wollte man das Land regieren. Von der Auflistung ausgenommen waren London und seine Einwohner.

Die Großzügigkeit der Krone dürfte nicht nur Dankbarkeit gegenüber der freiwilligen Unterwerfung der Stadt gewesen sein. London war bereits einer der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte Englands und damit ein Machtfaktor mit dem sich der König gut stellen sollte, etwa um potentielle Finanziers royaler Unternehmungen nicht zu vergraulen.

Dass der neue König London nicht aus reiner Freundlichkeit mit Privilegien überhäufte, lässt sich an seinen Bauvorhaben erkennen. Um ihre Bürger in Schach zu halten, errichteten die Normannen mehrere Festungen im Umkreis der Stadt. Eine besteht bis heute, der Tower of London.

Über die Jahrhunderte wurden London weitere Privilegien zugestanden. So war es den Einwohnern ab 1215 erlaubt, ihren Bürgermeister selbst zu bestimmen. Damit war die Stadt keiner Autorität unterstellt außer der Krone.

Die gesamte Region um die City of London, wie die ursprüngliche Stadt heute genannt wird, gedieh prächtig. Mehrfach wurde der Versuch unternommen, die Siedlungen zu einer Verwaltungseinheit zusammenzufassen, doch die Stadt wehrte sich standhaft. Sie befürchtete den Verlust ihrer Privilegien. So wurden Gebietsreformen bis in die Moderne ohne die City durchgeführt, auch nachdem die Städte zu einer durchgängigen Metropolregion zusammengewachsen waren.

Heute ist die Sonderstellung der City auf den ersten Blick verschwunden. Sie wird, wie andere Stadteile, von der 2000 gegründeten Greater London Authority regiert. Aber viele der über die Jahrhunderte angehäuften Privilegien bestehen weiterhin, ein normaler Bezirk des modernen Londons ist die City nicht.

Fangen wir mit den eher harmlosen Gegebenheiten an. Die Authority regiert explizit über zwei Gebiete, die City of London und das Ceremonial County, bestehend aus 32 Boroughs, wie Westminster, Kensington oder Islington. Die Aufteilung der Kompetenzen zwischen City und Authority ist fast identisch zu der zwischen Authority und Boroughs. Eine Besonderheit ist jedoch die separate Polizeitruppe der City.

Außerdem hat die City immer noch ihren eigenen Bürgermeister, Lord Mayor of London genannt. Nicht zu verwechseln mit dem Mayor of London, verantwortlich für die Metropolregion. Der breiten Öffentlichkeit ist er durch zwei Zeremonien bekannt: Von der Feier anlässlich seiner Amtseinführung, die im November im Fernsehen übertragen wird, und vom Empfang des Königs bzw. der Königin, wenn diese die City besuchen. Dann muss der Lord Mayor das Schwert der Stadt präsentieren, als Geste der Unterwerfung gegenüber der Krone.

Weniger bekannt ist, dass der Lord Mayor einer einzigartigen Stadtverwaltung vorsteht, der Corporation of London. Sie ist eine der ältesten Verwaltungen der Welt, wurde vor 1066 gegründet, wann genau weiß niemand. Teil der Corporation ist das Stadtparlament. Dem Court of Common Council gehören 125 Abgeordnete an, 100 Commoner und 25 Aldermen. Letztere formen eine weitere Kammer, den Court of Aldermen. Die Versammlungen gelten als Vorbild für das House of Commons bzw. das House of Lords und tragen den Spitznamen „grandmother of all parliaments“.

Um als Kandidat für das Parlament zugelassen zu werden, müssen Interessierte neben einigen gewöhnlichen Voraussetzungen, wie Volljährigkeit, Freeman of the City of London sein. Freeman ist ein Rang mittelalterlicher Gilden, den Livery Companies, von denen es immer noch über 100 in der City gibt. Heute erfolgt die Verleihung des Titels meist durch die Empfehlung von Sponsoren und der Zahlung einer Gebühr von 100 GBP. Für Kandidaten der Stadtparlamentswahl entfällt die Gebühr. So weit, so drollig.

Wahlberechtigt sind neben Einwohnern ansässige Unternehmen. Ein Umstand der in anderen lokalen Verwaltungen des Landes (erst) 1969 mit dem Representation of the People Act abgeschafft wurde. Während jeder Einwohner über eine Stimme verfügt, bemisst sich die Stimmenzahl der Unternehmen an der Zahl ihrer Mitarbeiter vor Ort. Die größeren verfügen über hunderte Stimmen. Insgesamt stehen ihnen einige tausend mehr zu als den Einwohnern [1]. Der Einfluss der Unternehmen ist jedoch durch die Aufteilung der Wahlbezirke weit größer. Nur vier der 25 Wards weisen eine nennenswerte Zahl an Einwohnern auf.

Und sie wissen natürlich welche Art von Unternehmen im alten London ansässig sind. „Die City“ ist längst zum Synonym für die britische Finanzindustrie geworden. Viele der einheimischen Banken, Versicherungen und zuarbeitende Anwaltsfirmen haben dort ihren Sitz. Dazu gesellen sich Dependancen ausländischer Firmen. Sie sind ganz offiziell mit der lokalen Verwaltung verwoben.

Aber es kommt noch besser. Mit der Wahl des Lord Mayors hat die Bevölkerung fast nichts zu tun. Als Kandidaten können nur amtierende Aldermen antreten, die bereits als Sheriff der City fungiert haben. Wahlberechtigt sind alleine Liverymen, Mitglieder der Gilden, die einen Rang über den Freemen stehen.

Wichtigste Aufgabe des Lord Mayors ist, als Lobbyist der britischen Finanzindustrie aufzutreten, die Verwaltung der Stadt kommt eher an zweiter Stelle. So steht es zumindest auf der Website der City of London: „The Rt Hon[1] the Lord Mayor of the City of London is an international ambassador for the UK’s financial and professional services.” [2] [3].Und weiter: “The Lord Mayor also heads the City of London Corporation, the governing body of the Square Mile….”.

In seiner Funktion als Botschafter hält ein Lord Mayor mehrere hundert Reden pro Jahr, reist um die Welt, besucht Empfänge und richtet allerlei Bankette aus. Die berühmteste Veranstaltung ist das Lord Mayor‘s Banquet bei dem der Premierminister die Keynote Address hält.

Und es wird immer noch besser. Der Lobby-Arm der City reicht ganz offiziell bis in das britische Parlament. Im 16. Jahrhundert wurde am Königshof der Posten des City Rememberancer eingerichtet, um die Monarchen an ihre Schulden gegenüber der Stadt zu erinnern. Heute sitzt der Rememberancer als Parliamentary Agent[2] im House of Commons, dem Speaker gegenüber [4].

Der Rememberancer nimmt weder an Abstimmungen teil, noch ist es ihm erlaubt, Reden zu halten oder Abläufe in der Kammer zu beeinflussen. Aber er hört den Debatten zu, darf Gesetzesvorlagen einsehen und ist vor allem für jeden sichtbar. Außerhalb der Kammern organisiert sein Team Empfänge und knüpft Kontakte. Passt ihm etwas nicht, kann er die Maschinerie der städtischen Lobbyisten mit ihrem verzweigten Netzwerk und vollen Taschen in Gang bringen.

Volle Taschen? Die Corporation verfügt wohl über Finanzmittel, von denen andere Stadtverwaltungen nur träumen können. So sollen ihre Besitztümer einen Wert von knapp 3 Mrd. GBP entsprechen [5]. Einen Teil machen Immobilien aus, in der City wie im restlichen London. Welche Immobilien genau, wie wertvoll, oder wie hoch die Einnahmen aus ihnen sind, wird von der Corporation nicht angegeben. Dabei müssen staatliche Einrichtungen in Großbritannien eigentlich nach den Bestimmungen des Freedom of Information Act (FOI) bei einer Anfrage entsprechende Daten freigeben. Der FOI Act gilt zwar für die City of London, allerdings nur für lokale Regierungs- und Polizeiangelegenheiten, sowie Belange der Port Health Authority [5]. Die Besitzverhältnisse der Corporation sind ausgeklammert. Wie schon zu Zeiten des Doomsday Book bleiben die Finanzen der City im Dunkeln.

Falls ihnen die Corporation mit ihren Vertretern wie der übelste Klüngel vorkommt, sind sie nicht allein. Nicholas Shaxton widmet ihr in seinem Buch über Steueroasen ein ganzes Kapitel und beschreibt sie in Anlehnung an den Begriff “Großmutter aller Parlamente“ mit „It is most certainly the granddaddy of old boy networks.“ [5].

Das Vereinigte Königreich ist schon ein tolles Land. Wo sonst könnten internationale Finanzunternehmen auf ein jahrhundertealtes Netzwerk zurückgreifen, deren Seilschaften ganz formal in die Administration einer Stadt bzw. das nationalen Parlaments reichen!? Großbritannien kommt mir immer mehr wie eine Bananenrepublik vor.

Passend dazu sei noch erwähnt, dass viele Steueroasen der Welt, wie die Cayman Islands oder British Virgin Islands, unter britischer Hoheit stehen und exzellent mit der City verknüpft sind. Was sich da für Möglichkeiten ergeben! Kein Wunder, dass London zum führenden Finanzzentrum der Welt aufgestiegen ist.


PS: Wer die City of London einmal selbst erfahren möchte, dem sei hier eine Tour empfohlen (siehe auch die Fotogalerie):


Beginnend an der Rotunda (A1) lohnt sich ein Besuch des Museums of London, und eine Stipvisite am Barbican Centre (weiter nördlich), dem größten Kulturzentrum Europs. Nach einigem Suchen findet man auch das Gildenhaus der Ironmongers. Im Südlichen Teil der Rotunda taucht man in die römische Vergangenheit der Stadt ein und kann die Überbleibsel der römischen Stadtmauer und, entlang der Noble St, die Überbleibsel eines römischen Lagers besichtigen. Links und rechts der Straße befinden sich übrigens Gebäude der Lloyds Banking Group. Nun geht es entlang Gresham St Richtung Westen. In der engen Straße wechseln sich Glaspaläste mit jahrhundertealten Bauten ab. Einige davon sind wieder Gildenhäuser (Wax Chandlers‘ Hall, Goldsmith’Hall). Nach drei Blocks öffnet sich auf der linken Seite der Komplex der City of London Corporation, mit modernen Bürogebäuden, einer Kirche, sowie Guildhall, dem alten Rathaus der City, und der Guildhall Art Gallery. Der Besuch der Gallery ist frei und sehr zu empfehlen. Neben mehreren thematisch passenden Gemälden und Büsten, sind im Untergeschoss die Überbleibsel eines römischen Amphitheaters zu besichtigen. Ist alles bestaunt, geht es zum Ende des Ausflugs über Gresham St und Princess St bis zum Herz der britischen Finanzindustrie an Bank Station. Hier findet man neben der Bank of England mit samt Museum, die Royal Exchange und Mansion House, der offiziellen Residenz des Lord Mayor of London. (Auch die Royal Bank of Scotland ist hier vertreten.) Wer weiterhin Lust und Kraft hat, dem empfehle ich die vielen Seitenstraßen zu besuchen. Überall warten kleine und große Überraschungen.


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[2] The Rt Hon ist die Abkürzung für The Right Honourable.

[4] Die vorrangige Rolle von Parliamentary Agents ist die Einbringung von privaten Gesetzesvorlagen in das Parlament.

[5] Nicholas Shaxson, “Treasure Islands: Tax Havens and the Men who Stole the World”, Vintage (2012)



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