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AutorenbildAndreas Eich

Cameron, Johnson und der Einfluss von Eton auf die britische Politik

David Cameron hatte 2015 unter anderem mit seinem Versprechen bei einem Wahlsieg ein Referendum über einen über einen EU-Auftritt abhalten zu wollen, seiner konservativen Partei eine weitere Legislaturperiode in der Regierung beschert. Damit war die Partei vorerst geeint und ein drohendes Abdriften in  Bedeutungslosigkeit verhindert.

Mit dem anstehenden Referendum konnte er im Nachgang der Wahl der EU weitere Sonderregeln für Großbritannien abringen. Alles lief nach Plan. Jetzt musste er das Referendum nur noch für das Lager der Remainer gewinnen und das Land in der EU halten. Doch es kam bekanntlich anders. Auch weil ausgerechnet ein Parteifreund Camerons, Boris Johnson, es sich nicht nehmen ließ, die Seite der EU-Gegner zu unterstützen und sich sogar an ihre Spitze setzte.



Nach dem Referendum beklagten einige Zeitungsartikel, dass zwei ehemalige Eton-Schüler das Land als Geisel genommen hatten, um einen schon länger andauernden persönlichen Wettkampf auszutragen, mit dem schlechteren Ausgang für das Land…

Ist das nicht eine erstaunliche Vermutung? Sollten zwei alte Schulrivalen mit Großbritanniens Schicksal gespielt haben, um ein für alle Mal zu entscheiden, wen den größeren… wer  der bessere ist? Kann da überhaupt etwas Wahres dran sein? Ich finde die Vermutung zumindest so erstaunlich,  dass ich ihr nachgehen möchte…

Fangen wir dazu mit der Schule an. Eton ist eine Privatschule und hat damit bereits eine Sonderstellung im britischen Schulsystem. Dazu ist sie die wohl berühmteste Schule der Welt und das hat seine Gründe.

Eton College wurde bereits 1440 von King Henry VI. gegründet, um 70 Jungen aus ärmeren Elternhäusern eine freie Schulbildung zu gewähren. Erst im Laufe der Jahrhunderte kam es bei reicheren Familien in Mode, ihren männlichen Nachwuchs auf Schulen wie Eton zu schicken, gegen Bezahlung. Die ursprünglich geförderte Gruppe an Jungen gibt es jedoch weiterhin, sie heißen King’s Scholars. Einem bekannten King’s Scholar kennen wir bereits, Boris Johnson, Cameron gehörte nicht dazu.

Heute werden Stipendien nicht mehr nur an Kinder ärmerer Familien gegeben, eine Vergabe erfolgt rein auf Basis von Testergebnissen. Und die Ausbildungskosten werden seit den 1960ern nicht mehr automatisch und im vollen Umfang von der Schule übernommen. Die Übernahme hängt von den Vermögensverhältnissen der Eltern ab.

Die Scholars wohnen auf dem Internatsgelände. Sie werden daher auch Collegers genannt. Die anderen Schüler leben außerhalb, verteilt auf 24 Häuser in der Stadt. Sie werden Oppidans genannt, nach oppidum, Latein für Stadt. Insgesamt besuchen ca. 1.300 Jungen im Alter von 12 bis 18 Jahren das College.

Auch Oppidans können je nach ihren akademischen Leistungen und dem Vermögen der Eltern monetäre Unterstützung erhalten. In der Praxis gibt es so kaum noch Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Das heißt jedoch nicht, dass die unterschiedlichen Zugehörigkeiten nicht gepflegt werden. Außerhalb der Unterrichtsstunden verbringen die Schüler die meiste Zeit mit den Mitgliedern ihrer Häuser, und es gibt allerlei Wettbewerbe, in denen sich die verschiedenen Gruppen messen. Zudem haben Collegers eine etwas andere Kleiderordnung als Oppidans. Falls sie meine Ausführungen an die Harry Potter Romane erinnert, kein Wunder, das Haussystem britischer Privatschulen war Vorbild für Hogwards. (Meine bessere Hälfte war in ihrer Schule ebenfalls einem Haus zugeordnet und kämpfte für dieses um Punkte.)

Die möglicherweise größte Rivalität zwischen Gruppen wird ähnlich wie in den Potter-Romanen sportlich ausgetragen. Einmal im Jahr, am St. Andrew’s Day, findet ein Eton Wall Game zwischen King’s Scholars und Oppidans statt. Das Spiel ist so etwas wie eine Proto-Form von Fußball und Rugby.  Ausgetragen wird das Match auf einem fünf Meter breiten Streifen entlang einer 110 Meter langen Mauer, errichtet im Jahr 1717. Gespielt wird mindestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts.  Bringt ein Team den Ball unter Einhaltung bestimmter Regeln in die gegnerische Endzone (Shy), erhält es einen Punkt. Anschließend wird der Ball auf ein vorgegebenes Ziel geworfen. Bei einem Treffer (goal) erhält das Team neun weitere Punkte. Die Ziele sind ein Gartentor bzw. ein Baum. Dem Spiel zwischen Collegers vs. Oppidans ist übrigens seit 1919 kein goal mehr vergönnt gewesen.

Das Spiel verdeutlicht einen weiteren Charakterzug meiner britischen Gastgeber. Sie sind zwar offen für Neues, aber das hindert sie nicht daran, ihre Traditionen zu pflegen. Kontinuität ist ebenfalls ein hohes Gut, egal wie exzentrisch die Tradition sein mag. (Das politische System ist ein weiteres Beispiel.)

Rivalitäten werden nicht nur zwischen Gruppen, sondern gleichfalls zwischen einzelnen Schülern gefördert. Sie konkurrieren um Preise für akademische Leistungen, bei den staatlich vorgeschriebenen GCSE und AS-Level-Examen, oder schuleigenen Trials. Schließlich gibt es in einzelnen Fachrichtungen Auszeichnungen. Hierzu werden oft externe Experten zur Bewertung herangezogen. Einer der renommiertesten Ehrungen, der Newcastle Classical Price, ging 1981 an Colleger Boris Johnson.

Doch auch Schüler ohne Preise im Regal müssen sich nicht schlecht fühlen.  Laut James Wood, einem Literaturwissenschaftler und selbst Etonian, wird Schülern folgendes Selbstverständnis eingeimpft: „The Etonian is marked by his air of effortless superiority.“[1]. Dem Rest der Bevölkerung überlegen sind die Schüler Etons sowieso, einen wahren Etonian zeichnet es jedoch aus, die Überlegenheit nicht zu sehr heraushängen zu lassen.

Zum Überlegenheitsgefühl beitragen dürfte die Liste an Prominenten, welche die Schule einst besuchten. Hier eine kleine Auswahl: Nobelpreisträger für Medizin 2012 John Gurdon, Ökonom John Maynard Keynes, die Schauspieler Hugh Laurie (Dr. House) und Tom Hiddleston (Loki in den Marvel Filmen), die Schriftsteller Ian Fleming, Aldous Huxley und George Orwell, sowie eine Vielzahl an Politikern, neben Cameron und Johnson etwa 18 weitere Premierminister. Und natürlich besuchten reihenweise Kinder des Adels und Geldadels Eton. Dazu gehören die Prinzen Harry und William, ihr Onkel Charles Spencer (Lady Dianas Bruder), Aga Khan III., Leopold III. von Belgien, sowie mehrere Mitglieder der Rothschilds, Astors und Vanderbilts.

Basierend auf dem zuvor geschrieben kann man die Auseinandersetzung zwischen Cameron und Johnson im Rahmen des Referendums wirklich als Fortführung eines Wettkampfes der zu Schulzeiten begonnen hat interpretieren. Der King’s Scholar und Newcastle Classical Preisträger Johnson musste unbedingt Oppidan Cameron überbieten Ja, das könnte eine (kleine) Rolle gespielt haben. Oder auch nicht Johnson und Cameron sind nicht der gleiche Jahrgang. Vielleicht jedoch der allgemeine Drill Wettkämpfe zu suchen und sie zu gewinnen?

Bei der Recherche des Hintergrundes viel mir vor allem auf wie elitär Eton ist. Gegründet vor Jahrhunderten von einem englischen König, eine Geschichte voller adeliger oder reicher Schüler, zukünftiger Premierminister, Nobelpreisträger und anderer Berühmtheiten. Dazu die Aussage anderen ohnehin überlegen zu sein… Wie diese Umgebung wohl den Charakter eines jungen Menschen prägt?

Zumal das kleine Örtchen Eton eng verwachsen mit dem ebenso kleinen Örtchen Windsor ist. Über dem thront die gleichnamige Burg, so etwas wie der Stammsitz der britischen Königsfamilie und eines DER Touristenattraktionen des Landes. Will sagen der ganze Ort ist voll mit britischen Flaggen und atmet britische Greatness, wenn nicht gar britische Superiority. Von Eton College bis Windsor Castle sind es nur ein paar Minuten zu Fuß.  Ein paar Eindrücke der Städtchen gewährt die folgende Fotogalerie.

 

 

Aber auch ein Blick auf die Familien der beiden Politiker nährt den Eindruck, die beiden sind in Umgebungen aufgewachsen, die wenig mit der Realität vieler Briten zu tun haben. Umgebungen, die nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes elitär sind und den Eindruck vermitteln müssen man sei zu größerem bestimmt.

Starten wir mit Verlierer der Auseinandersetzung. David William Donald Cameron wurde 1966 geboren. Er besuchte zunächst Heatherdown School, eine Privatschule, die auch Prince Edward und Prince Andrew zu ihren Absolventen zählt, bevor er an das Eton College wechselte. Zwischen Schule und Studium jobbte er für einige Monate und reiste um die Welt. So ging es von Hong Kong durch die Sowjetunion zurück nach Großbritannien. 1988 schloss er seine Ausbildung in Oxford mit einem Bachelor in Philosophy, Politics and Economy ab.

Camerons Bildungsweg ist in seiner Familie recht normal. Sowohl sein Vater wie auch sein älterer Bruder besuchten Eton. Seiner Mutter blieb Eton als Frau verwehrt. Jedoch besuchte Camerons Großvater mütterlicherseits sowohl Eton als auch Oxford. Das gleiche soll auf Camerons Ur-Großvater, Ur-Ur-Großvater und Ur-Ur-Ur-Großvater zutreffen.

Die drei letztgenannten waren außerdem wie David Politiker, Mitglieder der Tories und Abgeordnete im Unterhaus. Sein Ur-Großvater wurde als Baronet in den unteren Adelsstand erhoben [2]. Cameron selbst ist jedoch kein Adeliger, da der Titel nur entlang des nächststehend männlichen Verwandten weitergegeben wird.

Der Baronet ist nicht Camerons einziger blaublütiger Vorfahr. Entlang der väterlichen Linie findet man zunächst mehrere Börsenhändler [2]. Der Stammbaum enthält jedoch auch Lady Elizabeth FitzClarence, eine illegitime Tochter von King William IV. (1765-1837). Cameron ist mit William IV. enger verwandt als es Queen Elizabeth II. war [3]!  

Es gibt noch weitere Verknüpfungen zu britischen Politikern und Adeligen, aber ich glaube seine familiäre Herkunft ist ausreichend beschrieben.

Nach seinem Bachelor begann Cameron für das Conservative Research Department zu arbeiten, eine Einrichtung der Tories. In den nächsten Jahren übernahm er verschiedene Rollen in Partei und Regierung, etwa Beraterposten, bevor er 1994 in die Führungsetage(!) von Carlton Communications wechselte. (Ich möchte Anmerken, ohne echte Berufserfahrung!)

Seinen politischen Ambitionen hatte Cameron jedoch nicht abgeschworen. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch zog er 2001 in das Unterhaus ein. 2005 setzte sich Cameron etwas überraschend bei der Wahl zum neuen Parteivorsitzenden der Tories durch. 2010 gewannen sie unter seiner Führung die Parlamentswahl und er wurde Premierminister.

David Cameron ist bestimmt ein brillanter Mann mit einem Verständnis großer politischer Zusammenhänge. Aber selbst die Prinzen William und Harry dürften durch ihren Militärdienst mehr in Kontakt mit normalen Briten gekommen sein. Bei seinen Auftritten bei denen er für einen Verbleib in der EU auftritt, und die immer noch im Internet zu finden sind, geht er rational auf abstrakte Probleme ein die bei einem EU-Austritt entstehen könnten. Alles richtig und wichtig, aber sie hatten kaum etwas mit den täglichen Problemen vieler Briten zu tun. Die Distanz zwischen ihn und seinem Publikum ist fast körperlich spürbar…

Alexander Boris de Pfeffel Johnson hatte da weniger Distanz zu seinem Publikum, obwohl er einen ähnlichen Hintergrund wie Cameron hat.    

Vater Stanley, Oxford-Alumni, saß für die Tories im europäischen Parlament. Bruder Jo, Eton- und Oxford-Alumni, war zwischen 2010 und 2019 Mitglied des Unterhauses und besetzte verschiedene Posten in der Regierung. Jo war Minister for Universities and Science, Minister of Transport, Minister for London und Minister of State for Universities, Science Research and Innovation. 

Boris‘ Schwester Rachel, natürlich ebenfalls Oxford-Alumni, ist als Roman-Autorin tätig, aber vor allem durch ihre journalistische Arbeit bekannt. Sie schrieb bereits für Financial Times, Sunday Times, Daily Telegraph und Sunday Telegraph. Dazu versuchte sie sich ebenfalls in der Politik.  Nach kurzzeitiger Mitgliedschaft bei den Tories, trat Rachel den LibDems bei. Eine angestrebte Kandidatur bei den 2017er Parlamentswahlen scheiterte an den Regularien der Partei. Im April 2019 wechselte sie zur frisch gegründeten Anti-Brexit-Partei(!) Change UK, und kandidierte vergeblich für einen Sitz im europäischen Parlament.

Die Familie kann auch mit einigen prominenten Vorfahren auftrumpfen. Ein Ur-Großvater väterlicherseits war Ali Kemal Bey, einer der letzten Innenminister des Ottomanischen Reiches. Und eine Ur-Ur-Ur-Großmutter war höchstwahrscheinlich die illegitime Tochter von Prinz Paul von Württemberg. Über sie wäre Johnson auch mit King George II. (1727-1760) verwandt [4].

Johnsons eigener Werdegang ist sehr schön in Sonia Purnells Buch „Just Boris“ beschrieben, dass ich nur empfehlen kann [5]. Hier ein kleiner Abriss.

Geboren wurde er 1964 in New York City, als sein Vater an der Columbia University studierte. Während des familiären Aufenthalts in Brüssel besuchte er die Europäische Schule 1, später wechselte er ans Eton College. Danach folgte natürlich ein Studium in Oxford.

Johnson war in Eton Redakteur einer Schülerzeitung, sowie eines Satiremagazins an der Universität.  An beiden Einrichtungen war er außerdem Mitglied von Debattierklubs, in denen er leitende Positionen einnahm.

Seine Aufenthalte an Schule und Universität überschnitten sich mit denen Camerons. Die beiden kannten sich also zumindest, auch weil sie gleichzeitig Mitglieder des elitären Bullingdon Club waren, einem privaten Dining Club Oxforder Studenten, bekannt für seine reichen Mitglieder, Trinkgelage und schlechtes Benehmen.

Während Cameron bereits mit seiner Studienfachwahl in eine politische Karriere einstieg, studierte Johnson in Oxford Literae Humaniores, bei dem die Classics Latein, Altgriechisch, Philosophie, sowie die Geschichte des antiken Roms und Griechenlands im Fokus stehen.

Nach seinem Abschluss im Jahr 1987 begann Johnson seine professionelle Karriere bei L.E.K. Consulting, schmiss den Job jedoch nach einer Woche hin. Danach knüpfte er an seine journalistischen Gehversuche an und ergatterte eine Stelle als Trainee bei The Times. Auch dieses Engagement war nicht von Dauer. Als bekannt wurde, dass Johnson für einen Artikel ein Zitat erfunden hatte, flog er raus.

Der laxe Umgang Johnsons mit seinem Metier kam nicht von ungefähr. Bereits zu Schulzeiten galt er als faul, selbstgefällig und fiel durch notorisches Zuspätkommen auf. Während seiner Präsidentschaft des Debattierklubs in Oxford wurden seine Kompetenz und Ernsthaftigkeit in Frage gestellt. Johnsons fehlender Sinn für Seriosität ist auch optisch unübersehbar. Zumindest zieht er auf vielen öffentlich zugänglichen Fotos Grimassen oder hat dafür gesorgt, dass ihm die Haare zu Berge stehen.

Nun könnte man annehmen, Johnsons filouhaftes Verhalten würde seinem weiteren Aufstieg im Wege stehen. Doch das Gegenteil war der Fall. Johnson hat zu viele Kontakte, um tief zu fallen. Gleichzeitig lenkt sein Verhalten von seiner elitären Herkunft ab und ihm hilft, sich bei seinem Publikum einzuschmeicheln.

Nach dem Desaster bei der Times ergatterte Johnson einen Posten beim konservativen The Daily Telegraph. Deren Editor kannte er von einer Begegnung in Oxford. Ab 1989 schrieb er über die Europäische Union (bzw. Gemeinschaft) und arbeitete sich an ihr ab. Dabei nahm er es wieder mit der Wahrheit nicht so genau, wobei seine Artikel oft einen Kern an Wahrheit beinhalten sollten.

Die berühmteste Geschichte drehte sich dabei um einen Snack. Johnson behauptete, die Union wolle den Prawn Cocktail Flavour Crisp verbieten lassen. Eine Sorte Chips, die sich besonders in Großbritannien Beliebtheit erfreut. Die EU hatte es dabei keineswegs auf britische Gaumenfreuden abgesehen. Im Zuge einer Vereinheitlichung der Regelungen zu Süßungsmitteln und Aromastoffen innerhalb der EU wurde eine Liste der verwendeten Zutaten erstellt. Dabei vergaß die britische Seite(!) ausgerechnet jenen für die beliebten Chips zu übermitteln, wodurch er fast nicht auf der Liste gelandet wäre [6].

Bei der Times hätte er für seine Vorgehensweise Probleme bekommen, jedoch nicht beim Daily Telegraph. Seine “journalistische“ Tätigkeit machte Johnson nicht nur in der Öffentlichkeit einen Namen, sondern bereitete dem rechten Europa-Skeptizismus in der Bevölkerung einen fruchtbaren Boden.

In den nächsten Jahren schrieb er außerdem Kolumnen für GQ (über Autos) und für The Spectator, ein weiteres konservatives Magazin. Seine Beiträge sollen oft spät bis zu spät eingetrudelt ein. 1999 übernahm Johnson beim Spectator den Posten des Chefredakteurs, den er bis 2005 innehatte.

Auf all seinen Stationen sorgte er für Kontroversen, nicht nur aufgrund seiner Artikel und Arbeitsweise, sondern auch aufgrund von Frauengeschichten. Bei den Briten die ich kenne, ist es ein running joke, dass niemand weiß, wie viele Kinder Johnson eigentlich hat…

Bei den Wahlen von 2001 gewann Johnson einen Parlamentssitz und verteidigte ihn trotz aller Skandale 2005. 2008 kandidierte er bei der Wahl des Mayor of London und gewann. 2012 verteidigte er seien Posten.  Wieder trotz einer Reihe von Skandalen. Die Wahlsiege sind außerdem erstaunlich, weil er bis heute der einzige konservative Politiker ist, der diesen Posten erringen konnte (zumindest seit der Schaffung der Greater London Authority im Jahr 2000).

Mit seiner flapsigen Art überspielt Johnson gekonnt seine elitäre Herkunft. Als geborener Entertainer ist er außerdem ein Meister darin, sein Publikum zu lesen und sich anzupassen.  

2015 zog er wieder ins Unterhaus ein. Viele sahen die Rückkehr als Teil seines Plans, den Posten des Premierministers übernehmen zu wollen. Johnson ist ein bekannter Verehrer von Winston Churchill, und hat keinen großen Hehl daraus gemacht, diesem nachzueifern. (Außerdem vergessen wir nicht die den Einfluss der Institution Eton.)

Im Februar 2016 schlug sich Johnson  auf die Seite der Leave-Kampagne. Er gab eine Erklärung vor seinem Wohnhaus, dem ein Artikel im Spectator folgte [7]. Darin begründete er seine Entscheidung, die er trotz seiner großen Liebe zu europäischer Kultur und Zivilisation getroffen habe.

Wie später bekannt wurde, war sich Johnson jedoch bis kurz vor Verlautbarung seines Statements nicht sicher, auf welche Seite er sich schlagen sollte. So formulierte er eine zweite Erklärung, mit der er die Remainer unterstützt hätte. Der Text wurde im Buch All Out War von Tim Shipman veröffentlicht, und von mehreren Zeitungen aufgegriffen. Frei verfügbar ist er u.a. beim Evening Standard [8]. 

Die Zerrissenheit, welche aus den beiden Erklärungen spricht, hielt Johnson jedoch nicht davon ab, das Gesicht der Leave-Kampagne zu werden. Die folgte Johnsons Erfolgsrezept. Um eine große Wirkung zu erzielen, nahm er es mit den Fakten nicht zu genau, ohne komplett die Unwahrheit zu sagen. Damit war der Colleger Johnson wesentlich erfolgreicher als der Oppidan Cameron.

Vielleicht, wählte Jonson diesen Weg, weil er Cameron übertrumpfen wollte. Vielleicht, weil er eine gute Chance sah einen weiteren Schritt Richtung Amt des Premierministers zu nehmen.  Oder hat er sich doch so stark für den Brexit eingesetzt, um die Probleme vieler Briten anzugehen?

Letzteres kann ich mir ehrlich gesagt schwer vorstellen, zumindest als entscheidende Motivation. Nicht nur, weil er offensichtlich lange unentschlossen war auf welche Seite es sich schlagen sollte. Nach dem Rücktritt Camerons hat sich Johnson außerdem nicht als Kandidat zur Wahl eines neuen Parteivorsitzenden und damit Premierministers gestellt. Ihm war die vertrackte Situation in der sich das Land nun befand bewusst und hat erst mal andere sich an dieser abarbeiten lassen. Hätte so ein Politiker gehandelt dem es um die Sache geht?

Davon absehen zweifele ich sehr, dass jemand mit Johnsons Hintergrund versteht, wie schwierig das Leben im Land für viele Briten geworden ist, und welche Probleme diese überhaupt haben.  Woher soll das Verständnis kommen, wenn man sein ganzes Leben in einer Blase mit anderen Eton und Oxford Alumni gelebt hat?

Vielleicht gibt es da sogar ein größeres Problem? Leben nicht auch die Alumni von anderen Privatschulen und Eliteuniversitäten in dieser Blase? Wie viele von ihnen nehmen politische oder eine andere Verantwortung im Land ein?

 


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Anmerkung 2: Mit Weihnachten wird der Blog in eine kleine Winterpause gehen. Spätestens ab Februar 2024 gibt es weitere Beiträge, allerdings in etwas größerem Abstand.

 

[5] Sonja Purnell: Just Boris, Aurum (2011)

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