top of page
  • AutorenbildAndreas Eich

Spezial: Warum die Premier League prosperiert und die britische Gesellschaft nicht (Teil 2)

Aktualisiert: 27. Aug. 2023

Im ersten Teil meines Fußball-Spezials habe ich aufgezeigt wie der Fußball die Gesellschaft widerspiegelt. Der deutsche Ingenieursgeist und der britische Fokus auf Geldangelegenheiten sind auch in den jeweiligen Fußballkulturen zu finden. Doch zwischen Fußball und Gesellschaft gibt es auch Unterschiede. Großbritannien ist ein von Krisen gebeuteltes Land, die English Premier League ist dagegen die erfolgreichste Fußball-Liga der Welt, wirtschaftlich und sportlich. Woher kommt dieser Unterschied?



Der Erfolg der Premier League beruht wie beschrieben massiv auf dem Zufluss ausländischer Ressourcen und know how. Egal ob ausländische Spieler, Trainer, Entscheider oder Geld, ohne sie wäre der Boom der Liga nicht möglich. Und auch eine Erholung von Staat und Gesellschaft sind für mich ohne massiven Zufluss von Ressourcen und know how aus dem Ausland nicht denkbar.

Aufgrund des mangelhaften englischen Bildungssystems fehlt es auf fast allen Ebenen an Fachkräften. Ohne Investoren von außen wird kaum genug Geld vorhanden sein, attraktive Gehälter zu zahlen, um diese aus dem Ausland anzulocken, oder das substanzielle Schuldenproblem des Staates zu lösen und alle damit verbundenen Dilemma, wie etwa die verfallende Infrastruktur, oder, um den Kreis zu schließen, das miserable Bildungssystem.

Wie in einem früheren Post beschrieben, setzten auch die verschiedenen Regierungen Großbritanniens auf Zuwanderung. Doch im Gegensatz zur Premier League hat die britische Gesellschaft mit zwei Problemen zu kämpfen, von denen die Liga nicht betroffen ist bzw. die für sie weniger ins Gewicht fallen oder ihr egal sind.

Problem #1: Das Votum für den EU-Austritt wurde zu einem großen Teil aus der Furcht vor noch mehr Einwanderung gespeist. Der Austritt selbst hat diese erschwert. Die aktuelle Regierung versucht Stimmen zu fangen, indem sie gegen Ausländer, besonders Asylsuchende, hetzt. Anders als die Premier League haben Regierung und Gesellschaft den potentiellen Zufluss von kompetenten Ausländern massiv einen Riegel vorgeschoben.

Problem #2: Es droht die Gefahr, dass die Briten selbst kaum von der Wende zum Positiven profitieren werden und noch bedrohlicher: Sie könnten die Kontrolle über ihr Land verlieren oder zumindest zum Spielball ausländischer Interessen werden.

In der Liga bezahlen ausländische Investoren und Sponsoren ausländische Angestellte. Ja, auch eine kleine Elite an englischen Spielern profitiert und damit die Nationalmannschaft, aber der große Rest der englischen Kicker spielt nur noch zweitklassig, wenn überhaupt.

Die Briten kennen das Dilemma bereits: London ist zum vielleicht wichtigsten Finanzzentrum der Welt aufgestiegen. Die City of London ist weltbekannt und bewundert. Auch hier profitieren einige Einheimische profitieren davon, doch viele haben durch den Wandel Großbritanniens zu einem neoliberalen Vorreiterland ihren Job und ihre Identität verloren. (Und es wird noch darüber zu sprechen sein, wie die Finanzindustrie die Politik kontrolliert.)

Außerdem investieren die Ausländer nicht aus Nächstenliebe, sondern um ihren Profit zu steigern oder aus anderen Interessen. Neben Manchester City gibt es inzwischen einen zweiten Club, der quasi einem Staat gehört, mutmaßlich, um mit diesem sportswashing zu betreiben.

2021 wurde Newcastle United an ein Konsortium verkauft, dessen größter Teilhaber ein saudi-arabischer Staatsfonds ist. Der Verkauf, welcher von der EPL geprüft und bestätigt werden musste, zog sich aus mehreren Gründen in die Länge und wäre fast gescheitert (aber eben nur fast).

Zum einen sprach sich beIN gegen den Besitzerwechsel aus. Das staatliche Unternehmen aus Katar ist Inhaber der Übertragungsrechte für den arabischen Raum. Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Katar waren zu der Zeit mit „kalter Krieg“ treffend beschrieben. beIN durfte nicht in Saudi-Arabien ausgestrahlt werden, stattdessen waren im Land und anderswo EPL-Spiele über den Piratensender beoutQ zu sehen. Der saudische Sender schädigte den eigentlichen Rechteinhaber massiv und beIN beschuldigte die saudische Regierung nicht genug gegen den Missbrauch zu unternehmen.

Des Weiteren kritisierten Human Rights Gruppen die Übernahme. Kronprinz Mohammed bin Salman ist nicht nur Vorsitzender des entsprechenden Staatsfonds, sondern steht im Verdacht in die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi verwickelt zu sein. Die Verwicklungen, sowie die Befürchtung einen Konkurrenten mit saudischem Geld zu stärken, sollen wohl bei anderen Klubs zu Widerstand gegenüber dem Besitzerwechsel geführt haben.

Wegen der Verzögerungen zog sich das Konsortium zwischenzeitlich aus dem Verkaufsprozess zurück. Das rief wiederum die Unterstützer der Deals auf den Plan. Fans des Clubs sammelten in mehreren Petitionen Unterschriften, damit Regierung und Parlament eine Untersuchung über die Gründe der Verschleppung starteten. Bei einer Petition waren es mehr als 110.000 Unterschriften [9].

Schließlich ging der Deal doch über die Bühne. Vor dem Stadion des Clubs kam es zu spontanen Feiern der Anhänger. In Spielen verkleideten sich Zuschauer in traditionell saudischer Kleidung, und „We‘re richer than you“ wurde zu einem beliebten chant der Newcastle Fans... Mal davon abgesehen, dass derartige Übernahmen in der Bundesliga nicht möglich sind, glaube ich nicht, dass Besitzer mit Mordverdacht von deutschen Anhängern gefeiert würden. In Deutschland sind andere Faktoren im Zweifel doch wichtiger als Moneten…

Dies ist nur ein kleines Beispiel wie in Großbritannien einheimische Institutionen des Geldes wegen an ausländische Mächte verkauft und zum Spielplatz ihrer Interessen werden. Was passiert, wenn amerikanische Firmen den Gesundheitssektor dominieren und ihre Profite steigern wollen? Verabschiedet sich der viel geliebte NHS in die Geschichtsbücher? Was passiert, wenn sich ein paar leidlich demokratische Länder in die Infrastruktur einkaufen, um Einfluss auf einen führenden Nato-Staat zu gewinnen?

Mit Blick auf die Premier League könnte man abwinken. Nach Beginn des Krieges in der Ukraine, musste Roman Abramowitsch seinen geliebten Chelsea FC verkaufen, der russische Einfluss wurde zurückgedrängt. Am Ende greifen die Briten doch durch.

Aber hier gibt es wieder einen Unterschied zwischen Fußball und Gesellschaft. Das schöne Spiel mag im Herzen vieler Briten verankert sein, doch über Fußball-Clubs lässt sich kaum ein Staat beeinflussen. Größtes Opfer von Turbulenzen ist die Stimmung der Fans. Die neuen Besitzer des stolzen Chelsea FC haben in ihrer ersten Saison wie Irre gewütet, vier Trainer verschlissen und nie dagewesene 616 Mio. Euro für Transfers ausgegeben, nur um die Liga auf dem 12. Platz abzuschließen. Schlechte Stimmung bei den Anhängern, großes Gelächter bei allen anderen. Turbulenzen im Gesundheits- und Energiesektor wären ein anderes Kaliber. Verwerfungen bei der kritischen Infrastruktur könnten tödliche Folgen haben.

Großbritannien steht ein Drahtseilakt bevor. Eine Öffnung nach Vorbild der Premier League ist meiner Meinung nach zum Lösen der vielen Probleme nahezu alternativlos. Allerdings muss die Bevölkerung von allen Aspekten dieser Wende überzeugt werden. Und das Land darf nicht zu viel Macht und Einfluss aufgeben. Über viele Jahre benötigt das Vereinigte Königreich eine kluge Politik, die den Wandel bestmöglich steuert, es benötigt Regierungen, die vieles richtig und wenig falsch machen.

Wird Großbritannien der Drahtseilakt gelingen? Bei einem Blick auf die politischen Akteure der letzten Jahre habe ich Zweifel…


Anmerkung: Wer über neue Beiträge per e-Mail informiert werden möchte, kann sich dazu oben rechts auf der Seite anmelden.





Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page